Montag, 14. November 2016

Der Libertarismus und seine "Natürliche Ordnung" - Ein Zwischenruf

Beratungsresistenz und Anmaßung von Wissen machen die Adepten der libertären Schule gerne und oft allen nicht-libertären Lehren zum Vorhalt. Man vertrete schließlich die von Logik, Vernunft und Menschenkenntnis sanktionierte "natürliche Ordnung" der Dinge, die alle Abweichler auf kollektivistischen, mithin totalitären Abwegen sieht.

Man muss keine Bibliotheken verschlingen, um diesen normativen Anspruch auf eine "natürliche  Ordnung" als szientifischen Taschenspielertrick zu entzaubern. In all diesen volkwirtschaftlichen/libertären Lehrbibeln ist diese mit den höheren Weihen des "Naturrechts" konsekrierte Ordnung bei näherer Betrachtung nur eine behauptete natürliche Ordnung.

Der normative Anspruch der Schuldgeldtheorie als "natürliche" Ordnung leitet sich unstatthafterweise von dem über alle Schulen hinweg geteilten Wissenschaftmythos ab, dass die Geldwirstchaft sich organisch aus dem Naturaltausch heraus entwickelte. Gewissermaßen wie ein Naturgesetz, unabhängig von Raum und Zeit. Historiker und Ethnologen haben diese Tauschgesellschaften nie finden können. Hier klammert sich auch der Libertarismus (zusammen mit seinen volkswirtschaftlichen Brüdern im Geiste) an ein evolutionistisches Dogma, das freiflottierend über der tatsächlichen historischen Evidenz schwebt, um damit weniger der Vernunft, sondern dem eigenen Willen den Weg zu bahnen. Es ist geradezu das kulturelle Markenzeichen unserer "aufgeklärten" Moderne, dass sich individuelle und institutionalisierte Normativitäts- und Machtansprüche unter der Maske einer Scheinrationalität verbergen. Nicht nur vor denen, die man "überzeugen" will, sondern vor allem vor sich selbst. So behält der Wissenschaftsbetrug auch noch sein gutes Gewissen.

Dass der Naturaltausch ein historisch belegbares Notstandsergebnis von zusammenbrechenden Schuldgeldsystemen ist, berechtigt nicht dazu, ihn in evolutionistischer Denkungsart als gesellschaftlichen Urzustand in eine mythische Vergangenheit zu projizieren, um dann mit deduktiver, sozialwissenschaftsfremder Logik ('vom Tausch zur Geldwirtschaft') eine sozioökonomische Normativität abzuleiten. Es sind daher auch andere, nicht-kollektivistische (Gesellschafts-)Verträge zwischen den Individuen einer produzierenden Sozietät möglich und legitim, die zwar den volkswirtschaftlichen/ libertären Grundmythos, mitnichten aber die individuelle Freiheit verletzen müssen (z.B. Individualistischer Kooperationismus/Kontributionismus à la UBUNTU).

Der Libertarismus ist daher genausowenig eine tragfähige und normative Wissenschaft wie der Rest der volkswirtschaftlichen Schulen. Er ist eine Pseudowissenschaft, die sich den Anspruch auf Normativität durch eine ahistorische Scheinlogik im "tragenden" Fundament des theoretischen Überbaus ergaunert. Die historischen und systematischen Widersprüche der Volkswirtschaftslehren einschließlich des Libertarismus wurden wohl von keinem klarer und verständlicher herausgarbeitet als von Franz Hörmann, der in seinem Buch 'Das Ende des Geldes' auch das Ende aller "normativen" Volkswirtschaftslehren einläutete.

Können wir uns wirklich nicht auf einen Freiheitsbegriff verständigen, der uns unabhängig  von diesen scheinwissenschaftlichen Normativitätskonstrukten vereint in der Suche nach einer menschenfreundlicheren Alternative zu jenem schuldgeldgetriebenen Konkurrenzgerangel? Ich bin mir bewusst, so etwas geht nicht von heute auf Morgen. Und ich ziehe mit jedem Libertären an einem Strang, wenn es um Massnahmen geht, das herrschende Geldsystem von Betrug (Fiat Money) und Manipulation zu erlösen.

Aber eine schuldgeldgetriebene Konkurrenzordnung in unkritisch-anmaßender Wissenschaftsfrömmigkeit "natürlich" zu sprechen, so wie der Priester die Hostie per göttlicher Order konsekriert - das fresse ich nicht! Da rebelliert mein intellektuelles Gewissen. Und das sollte eures langsam auch, my fellow Libertarians!



Empfohlene Lektüre:


Franz Hörmann: Das Ende des Geldes. Wegweiser in eine ökosoziale Gesellschaft.
GALILA Verlag (2011).

David  Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre. Goldmann Verlag (2013).

Gunnar Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft. Eine sozialtheoretische Rekonstruktion zur Antike. Suhrkamp (²1984).

Alasdair McIntyre: Der Verlust der Tugenden. Zur moralischen Krise der Gegenwart. Suhrkamp (1995).

Michael Tellinger: Das UBUNTU Prinzip: Ein revolutionärer Plan für gerechteren Wohlstand. Hesper Verlag (2014).

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